Schottern für den guten Zweck — karitative Reiseenduro-Veranstaltungen gewinnen weiter an Beliebtheit. Bei der Generalprobe zum Ibbenbürener »Haselrodeo« stand aber vor allem ein Ziel im Mittelpunkt: die pure Freude an gemeinschaftlicher Dreckwühlerei.
Reiseenduristen haben’s nicht leicht. Während Crosser und Sportenduro-Fahrer ihr hochspezialisiertes Material bei einer Vielzahl von Veranstaltungen über Erdhügel und ausrangierte Treckerreifen prügeln können, müssen Dickschifftreiber ihre Geländeexperimente oft ins Ausland verlagern. Learning by Doing weit weg von zu Hause, typischerweise mit Gepäck und abgerubbeltem Stollenprofil. Wo in Deutschland kann man sich schließlich noch einfach aus Lust an Freude und Fahrzeugbeherrschung durchs Gemüse wühlen? Mitten in der Stadt, lautete 2004 die erstaunliche Antwort. Seit 16 Jahren schickt das »WuppEnduro« seine Teilnehmer auf eine alternative Stadtrundfahrt durch Baustellen, Steinbrüche, Landschaftsgärtnereien oder auch mal treppauf, treppab durch verlassene Kasernengebäude. Kein Wettbewerbsstress, nur der reine Spaß am Zusammensein und Ausprobieren. Garniert mit extremer Spendenbereitschaft: Über eine Viertelmillion Euro konnte das Wuppertaler Non-Profit-Event inzwischen an Kinderheime und Stiftungen weiterreichen.
Wir merken: Es geht mehr als gedacht. Jedenfalls wenn sich Leute finden, die Genehmigungen besorgen, Versicherungen auftreiben, Überstunden und schlaflose Nächte investieren. Weshalb das WuppEnduro mit dem »HoenneTrail« und »NeussEnduro« in Nordrhein-Westfalen schon zwei Ableger bekommen hat, die Reiseenduristen ebenfalls Auslauf bieten. Den ganzen Tag fahren, Spaß haben und abends beim Lagerfeuerbier den Schlamm aus den Lachfalten bröckeln lassen: Einfach ein cooles Konzept, dachten auch Lutz Lindemann und seine Freunde. Mit einem Steinbruch, dem Rückhalt des »Bikerhof Haselroth« und der passenden Spotify-Playlist im Gepäck schien der Weg frei für die Rock-‘n’-Roll-Variante des Gelände-Geschunkels: das »Haselrodeo«. Philosophie: Spaß statt Sport, Altmetall vor Hightech und keine Angst vor Kampfspuren. Schon die ersten Testfahrten am zum »Dirtberg« erklärten Dickenberg verliefen zur vollsten Zufriedenheit: »Für mein Bike war es die erste Aus-fahrt in den Dreck nach der neuen Lackierung«, meldete Lutz. »Man könnte also sagen: von fabrikneuem Aussehen zu Schlammschlacht in zehn Minuten. Dazu noch dreimal auf die Fresse gelegt, und endlich sah das Moped wieder schön aus.« Trotzdem sollte das Rodeo natürlich kein Gemetzel werden. Motto: »Wer sich einen Abschnitt nicht zutraut, ist cooler als jemand, der sich überschätzt!« Ehrensache, dass es trotzdem einen Preis für den größten Pechvogel geben sollte.
Mit kleiner Einschränkung: »Dummheit wird nicht prämiert!« Helfer. Pokale. Strecken, sogar ein eigens gebrautes Bier waren vorbereitet. Besitzer, Ordnungsamt, Umweltgutachten — alle Probleme schienen gelöst. Dann kam die Seuche.
Der geplante Termin schlidderte durch den Kalender, die Auflagen wuchsen schneller als die Hügel der selbst gebauten Cross-Strecke und erst Mitte September bekamen Lutz und Gefährten endlich Grip unter den Stollen.
Erlaubnis, Hygienekonzept, Umweltgutachten: Nach reichlich Papierkram und wochenlanger Hitzeperiode bot Ibbenbüren wüste Idealbedingungen.
Das geplante Festival geriet zur Mini-Rallye für 40 Glückliche. 30 Männer, zehn Frauen, die in und um drei Steinbrüche eine sehr exklusive Generalprobe erleben konnten. Gefolgt vom vermutlich letzten Sommerabend 2020. »Das war magisch«, resümiert Lutz. »eine wunderschöne Rallye.« Die sich wie ihre Kollegen hoffentlich im nächsten Jahr voll entfalten darf. GB
Am Dickenberg wird traditionell Dreck geliebt und angepackt. Seit dem 15. Jahrhundert wird hier Kohle abgebaut. Nachdem die oberflächlich erreichbaren Schichten weg waren, musste der Kopf angeschmissen werden, wie sich die Kohle tiefer erreichen lassen würde. Innovationen wie technische Geräte zur Belüftung, Entwässerung und zur Förderung wurden erfunden und gaben Menschen aus Ibbenbüren und aus allen Himmelsrichtungen Brot und Butter.
Heutzutage sind es hier nicht mehr tiefe Flözschichten oder Grundwassereinbrüche, die uns nachhaltig beschäftigen. Heute bereiten uns Kopfzerbrechen pseudotiefe Verschwörungserzählungen und Einbrüche von Rechtsaussen, die drohen unsere Gesellschaft und unsere Demokratie wegzuspülen.
Dazu Kriege in der Nachbarschaft und bei Freund*innen, die Folgen einer Pandemie und der Klimaerwärmung. Boah…
Aber was tut uns besser als frischer Wind im Gesicht und Dreck unter den Reifen? Im Dreck sind alle gleich. Das galt damals schon im Pütt und gilt genauso jetzt im Steinbruch.
Mit deiner Unterschrift unter den Haftungsausschluss erklärst du dich damit einverstanden, dass die Haselrodeo Rallye keinerlei Platz bietet für rechtes Gedankengut, rechte Symbolik und rechte Sprüche und genauso wenig für Sexismus, Antisemitismus und Klimawandelleugnung.
No Nazis – NoAfD – Nie wieder ist jetzt
Wir stehen ein für eine offene Gesellschaft, für Freiheit und Gleichberechtigung.
Es geht darum gemeinsam Spaß zu haben, uns auszupowern und zu connecten und dabei unser aller Akku mit Power und Liebe aufzuladen – unabhängig von der Herkunft, dem Geschlecht, der sexuellen Orientierung und der Fähigkeiten.
Wir als Haselrodeo Familie stecken ob der schwierigen Zeiten den Kopf nicht in den Sand, sondern die Reifen in den Dreck.
Kommste mit?
Mehr Liebe für alle von Judith & Lutz!